
Studie: unterschätzen wir Einsatzfolgeerkrankungen?
In einer aktuellen Studie, die im European Journal of Psychotraumatology veröffentlicht wurde, sind wir der Frage nachgegangen, inwiefern Traumafolgeerkrankungen und Symptome anderer psychischer Erkrankungen von Soldat:innen und zivilen Bediensteten des Österreichischen Bundesheeres als "heikel" (=sensitiv) wahrgenommen und in weiterer Folge im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen möglicherweise nicht angegeben werden. Der Fokus lag dabei auf der Frage, welche psychischen Erkrankungen als besonders sensitiv erlebt werden – und warum.
Methode
Eine Stichprobe von rund 1.500 Soldat:innen und zivilen Bediensteten des Österreichischen Bundesheeres beurteilte die Wahrscheinlichkeit, dass Fragen zur psychischen Gesundheit ehrlich im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen beantwortet werden. Dabei wurden verschiedene psychische Erkrankungen (posttraumatische Belastungsstörung, komplexe posttraumatische Belastungsstörung, Alkoholmissbrauch, Depression, Angstsymptome, Somatisierungssymptome) verglichen, Unterschiede zwischen Berufssoldat:innen, Grundwehrdienern und zivilen Bediensteten berücksichtigt sowie Effekte verschiedener Aspekte des Erhebungsdesigns (z.B. Vertrauen in den Datenschutz, Reihenfolge der Fragebögen) untersucht.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass psychische Symptome im Allgemeinen, ganz besonders aber Symptome des Alkoholmissbrauchs und der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) als hochgradig sensitiv erlebt werden. Vor allem Fragen zum negativen Selbstkonzept der kPTBS, die sich auf Gefühle der Wertlosigkeit oder des Versagens beziehen, werden nach Ansicht der Befragten kaum ehrlich beantwortet. Darüber hinaus zeigen sich Effekte der Fragebogenreihenfolge.
In Bezug auf Symptome des Alkoholmissbrauchs zeigen frühere Studien, dass diese mit Reputationsverlusten oder Sorgen vor negativen beruflichen Konsequenzen bei Soldat:innen verbunden sein können. Dies könnte eine mögliche Erklärung für die hohe Sensitivität der entsprechenden Fragen sein.
Die Hintergründe der hochgradig sensitiven Symptome des negativen Selbstkonzepts der kPTBS sind weniger klar. Wir vermuten, dass verschiedene Aspekte der beruflichen Identität von Soldat:innen, wie Stärke, Durchhaltevermögen und Verlässlichkeit schwer vereinbar mit Gefühlen der Wertlosigkeit oder des Versagens sein könnten. Dies könnte eine Selbststigmatisierung derartiger Symptome begünstigen.
Schlussfolgerungen
Wir schließen aus den Ergebnissen, dass die Prävalenzraten von alkoholbezogenen Störungen sowie der kPTBS aufgrund deren hoher Sensitivität in militärischen Populationen unterschätzt werden könnten. Um derartige Phänomene zuverlässig im Militär erforschen zu können braucht es daher spezielle Forschungsstrategien. Künftige Studien sollten vor allem die näheren Hintergründe beleuchten, um besser verstehen zu können, wie Soldat:innen psychische Symptome interpretieren.