Tools & Tactics: Sag ich es? Über belastende Einsätze reden.

Soziale Unterstützung kann den Umgang mit Einsatzstress maßgeblich erleichtern. Aus psychologischer Sicht ist es daher grundsätzlich sinnvoll, belastende Einsatzerlebnisse auch mit dem/der Partner:in, Familienangehörigen und anderen vertrauten Personen zu teilen. Dabei sollte man allerdings einiges beachten.

Schutzfaktor soziale Unterstützung

Wir sind soziale Wesen. Dieser Umstand kommt besonders dann zum Tragen, wenn wir mit den Herausforderungen des Lebens konfrontiert sind. Psychologische Studien zeigen eindeutig, dass soziale Unterstützung – vor allem (aber nicht nur!) familiäre Unterstützung – eine der wichtigsten Ressourcen bei der Bewältigung von Krankheiten, Stress, belastenden Lebensereignissen und traumatischen Erfahrungen darstellt. Durch den Kontakt und Austausch mit vertrauten Personen können wir insbesondere

  • emotionale Unterstützung in Form von Nähe, Verbundenheit und Ermutigung erfahren,
  • Hilfe beim Lösen von konkreten Problemen, Feedback und Informationen erhalten,
  • praktische Unterstützung im Alltag bekommen,
  • geistige Unterstützung durch Reflexion und Teilen gemeinsamer Werte und Lebensvorstellungen erleben (Kaluza, 2011).

Auf biologischer Ebene werden die stressreduzierenden Effekte positiver sozialer Beziehungen vermutlich durch vermehrte Ausschüttung des Hormons Oxytocin vermittelt, womit unter anderem nicht nur eine Anhebung der Schmerzwahrnehmungsschwellen, sondern auch eine Reduktion des Stresshormons Kortisol im Blut verbunden ist.

Soziale Beziehungen sind also ein wesentlicher Schutzfaktor (ein sog. "protektiver Faktor") im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Aber welche Merkmale sozialer Unterstützung sind hierfür konkret verantwortlich? Psychologische Untersuchungen zeigen, dass es entgegen landläufiger Meinungen kaum auf die Größe des "sozialen Netzes" ankommt. Um soziale Unterstützung zu erfahren, muss man weder in einer Großfamilie aufwachsen, noch über einen ausufernden Freundes- oder Bekanntenkreis verfügen. Noch weniger fällt die Anzahl der Freunde auf diversen Social-Media Plattformen ins Gewicht.

Lediglich das völlige Fehlen sozialer Bezugspersonen hat sich in entsprechenden Studien als Risikofaktor erwiesen. Abgesehen von diesem Extremfall zählt aber vor allem die Qualität sozialer Beziehungen und die subjektiv erlebte Zufriedenheit damit. Vor diesem Hintergrund erscheint es also günstiger, einige wenige vertrauensvolle Beziehungen zu unterhalten, als zahlreiche oberflächliche Bekanntschaften.

Reden unterstützt die Bewältigung von Einsatzbelastungen

Die meisten Einsatzkräfte erleben Gespräche über Einsatzbelastungen mit Kolleg:innen/Kamerad:innen, Angehörigen und anderen Bezugspersonen als hilfreich. Besonders bei Vorliegen potentiell traumatischer Einsatzerlebnisse erfüllen solche Gespräche – neben den bereits erläuterten allgemeinen Funktionen sozialer Unterstützung – auch wichtige psychologische Funktionen (angelehnt an Lasogga & Gasch, 2011):

1. Strukturierung von Erlebnisinhalten

Extremsituationen werden zumeist von äußerst intensiven Emotionen begleitet. Durch diese "emotionale Überflutung" kommt es zu veränderten Gedächtnisprozessen -das Erlebte kann nicht ausreichend in das Gedächtnis eingeordnet werden. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Erlebnisse immer wieder in Form von belastenden Erinnerungen "aufbrechen" können (z.B. in Form von Flashbacks oder Albträumen). Durch das Sprechen über das Erlebte werden die Gedächtnisinhalte zunehmend strukturiert. Dies unterstützt eine geordnete Abspeicherung im Gedächtnis.

2. Förderung des Kohärenzerlebens

Extreme Einsatzerlebnisse können manchmal nur schwer in das eigene Weltbild eingeordnet werden. Dies kann zu einer anhaltenden gedanklichen Beschäftigung mit dem Erlebten führen, z.B. in Form von "Grübeln". Im Gespräch über die Einsatzerfahrungen kann das Erlebte reflektiert, zunehmend in das eigene Lebens- und Weltverständnis integriert und damit als "kohärent" (im Sinne von "stimmig" und erklärbar) erlebt werden.

3. Neubewertung des Einsatzes

Besonders belastende Einsatzerlebnisse führen oft zu einem gedanklichen und emotionalen Fokus auf einzelne Aspekte des Einsatzes. Dies kann dazu führen, dass wichtige Details ausgeblendet und verzerrte Schlussfolgerungen in Form negativer Bewertungen gezogen werden, z.B. in Bezug auf Schuld und Verantwortung. Im Gespräch über die Einsatzerlebnisse ergibt sich häufig erst ein ganzheitlicher Eindruck des Geschehenen. Dies kann eine Neubewertung im Sinne einer fairen, realistischen Bewertung des Einsatzes begünstigen.

Soll man also "einfach über alles reden"?

Soll man angesichts der positiven Wirkung von Gesprächen über Einsatzbelastungen nun "einfach über alles reden"? Ganz so leicht ist es leider nicht. Der zwischenmenschliche Austausch über belastende Ereignisse bringt nämlich auch einige Stolpersteine mit sich, vor allem wenn es dabei um traumatische Erlebnisse geht.

So können sich Angehörige und Kolleg:innen durch Gespräche über Einsatzerlebnisse überfordert fühlen. Einige Studien deuten darauf hin, dass traumatische Erlebnisse bis zu einem gewissen Grad im Rahmen von Gesprächen und Schilderungen auf unbeteiligte Personen übertragen werden können. Dieses Phänomen wird als "sekundäre Traumatisierung" bezeichnet und kann zu Symptomen führen, die einer posttraumatischen Belastungsstörung nahekommen.

Auch Betroffene von Einsatzstress selbst empfinden Gespräche über das Erlebte mitunter als wenig hilfreich, vor allem wenn sie in unproduktiven Diskussionen oder taktischen Einsatznachbesprechungen münden und damit an den wesentlichen Bedürfnissen vorbeigehen.

Außerdem können Art und Dauer traumatischer Symptome, aber auch Einstellungen und Reaktionen sozialer Bezugspersonen zwischenmenschliche Konflikte begünstigen und Enttäuschungen nach sich ziehen. Betroffene traumatischer Erlebnisse entwickeln beispielsweise mitunter ein "Gefühl der Einzigartigkeit" und können dann möglicherweise nur bedingt Interesse bzw. Verständnis für die Bedürfnisse anderer Menschen aufbringen -aus nachvollziehbaren Gründen. Dies kann jedoch soziale Konflikte nach sich ziehen und eine Distanzierung von wichtigen Bezugspersonen begünstigen.

Umgekehrt stoßen traumatisierte Menschen zwar anfänglich meist auf viel Verständnis im sozialen Umfeld, sehen sich aber im weiteren Verlauf oftmals mit "forcierter Normalisierung" konfrontiert. Angehörige und andere wichtige Bezugspersonen reagieren vor allem bei länger bestehenden Symptomen häufig mit Unverständnis nach dem Motto "das Leben geht weiter", "Du musst damit zurechtkommen" etc. Solche Äußerungen vertrauter Personen können zu Gefühlen der Ausgeschlossenheit führen und die Bewältigung traumatischer Erlebnisse erschweren (Maercker, 2009).

Nicht zuletzt können sich partnerschaftliche, aber auch freundschaftliche Beziehungen manchmal auch konflikthaft entwickeln. In manchen Fällen werden dabei vertrauliche bzw. intime Informationen nach Außen getragen und im ungünstigsten Fall instrumentalisiert.

Was tun?

Sollte man angesichts der möglichen Stolpersteine also darauf verzichten, über Einsatzbelastungen zu reden? Aufgrund der erwiesenermaßen hohen Bedeutung sozialer Unterstützung für die Bewältigung von Belastungen erscheint dies wenig sinnvoll! Es kann allerdings zielführend sein, im Vorfeld einige Überlegungen anzustellen.

1. Grundhaltung

Gar nicht reden ist zumeist keine gute Option

Wenn Sie sich akut belastet fühlen werden nahe Angehörige und Personen, die Sie gut kennen, dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bemerken. Kommunizieren Sie gar nicht über Ihre Erlebnisse, werden sich enge Bezugspersonen zumeist ausgeschlossen fühlen, Sorgen machen oder falsche Schlüsse ziehen. Misstrauen und zusätzliche Spannungen können die Folge sein. Und sie berauben sich selbst der Möglichkeiten, die soziale Unterstützung eröffnen kann.

Sie entscheiden

Letztendlich geht es aber darum, einen für Sie passenden Weg zu finden. Welche Information Sie mit wem und auf welche Art teilen, bestimmen ausschließlich Sie selbst. Sie haben keinerlei wie auch immer geartete Verpflichtung, belastende Erlebnisse anderen Menschen mitzuteilen. Gerade in gesunden Beziehungen gibt es auch Grenzen der Selbstoffenbarung.

2. Vorgehensweise

Überlegen Sie sich, wer Ihnen welche Art der Unterstützung bieten kann

Während Sie im Gespräch mit engen Familienangehörigen vielleicht emotionale Unterstützung und Nähe erfahren können, kann ein(e) Kolleg:in/Kamerad:in eventuell praktische Hilfe im Alltag oder konkrete Informationen liefern -oder umgekehrt. Entscheiden Sie je nach Vertrauen und Bauchgefühl, wen Sie wie involvieren möchten.

Schildern Sie einen schwierigen Einsatz zunächst eher allgemein und nicht in allen Details

Legen Sie den Fokus im Gespräch auf Ihre Gedanken bzw. die Themen, die Sie gerade beschäftigen und welche Art der Unterstützung Sie sich erhoffen. Dadurch geben Sie Ihrem/Ihrer Gesprächspartner:in die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie weit er/sie sich auf Details einlassen möchte.

Berücksichtigen Sie Ihre eigenen Grenzen

Wenn Sie über bestimmte Details nicht reden wollen, äußern Sie dies im Zweifelsfall. Ein "darüber will ich jetzt (noch) nicht reden" kann dabei völlig ausreichend sein. Beenden Sie ein Gespräch, wenn Sie sich bedrängt fühlen oder belastende Diskussionen entstehen.

Bewahren Sie Ihre Autonomie

Lehnen Sie Hilfsangebote, die Sie nicht in Anspruch nehmen wollen, höflich und guten Gewissens ab. Auch wenn Sie gut gemeint sein mögen.

Anerkennen Sie Unterstützung

Wenn Ihnen ein Gespräch gut tut oder Sie beispielsweise merken, dass Sie immer wieder dieselben Aspekte eines Einsatzes thematisieren und dies als hilfreich erleben, melden Sie dies Ihrem/Ihrer Gesprächspartner:in konkret zurück. Damit anerkennen Sie die erfahrene Unterstützung.

Klären Sie den Umgang mit Außenstehenden

Besprechen Sie bei Bedarf mit Ihrem/Ihrer Gesprächspartner:in, welchen Umgang mit den erhaltenen Informationen Sie sich erwarten. Verschwiegenheit lässt sich leicht zusichern. Was aber, wenn Sie jemand bei einem längeren Gespräch in der Kantine beobachtet hat oder schlicht aufgefallen ist, dass es Ihnen nicht gut geht? Überlegen Sie am besten gemeinsam mit vertrauten Personen, ob und gegebenenfalls wie Sie Ihre Belastungen Außenstehenden kommunizieren wollen.

Behalten Sie Ihre Eigenverantwortung

Es ist sinnvoll, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Bewältigen Sie aber weiterhin Ihren Alltag und erledigen Sie die Aufgaben, die Sie selbst erledigen können. Dies ist für die Verarbeitung von Extrembelastungen hilfreicher, als sich allzu viel abnehmen zu lassen.

3. Troubleshooting

Vorschnelle Ratschläge

Nehmen Sie es nicht persönlich wenn Sie mit wenig hilfreichen Ratschlägen konfrontiert werden. Viele Menschen, die sich besonders gut einfühlen können, reagieren mit vorschnellen Ratschlägen aus dem Wunsch, rasch zu helfen. Äußern Sie, was Sie sich stattdessen erwarten.

Zu wenig Unterstützung

Wenn Sie das Gefühl haben, zu wenig Unterstützung zu bekommen, vergegenwärtigen Sie sich alle möglichen Formen sozialer Unterstützung. Wer schenkt Ihnen Zeit und Aufmerksamkeit? Wer wäscht Ihre Wäsche? Wer fragt Sie, wie Ihr Tag war, wie es bei Ihnen läuft oder wie es Ihnen geht? Hat jemand etwas gemacht, worüber Sie sich gefreut haben oder dies zumindest versucht? Viele Menschen unterstützen intuitiv und häufig ungefragt mit kleinen Gesten oder Aufmerksamkeit -ohne dies an die große Glocke zu hängen. Nehmen Sie diese Formen der Unterstützung bewusst wahr.

Grobe Vertrauensbrüche

Begegnet man Ihnen mit längerfristigem Desinteresse, wiederholten Vorwürfen, wird Ihr Vertrauen missbraucht oder lässt man Sie trotz zugesagter Hilfe mehrfach im Stich, überlegen Sie sich, wer Sie besser unterstützen kann. Wenn Sie das Gröbste überstanden haben unterziehen Sie Ihre Beziehungen einer Evaluierung. Soziale Beziehungen können Quelle positiver Unterstützung sein, aber auch zur Belastung werden. Definieren Sie belastende Beziehungen neu oder gehen Sie auf Distanz.

Wenn es mehr braucht

Wenn Sie über Details eines Einsatzes sprechen wollen, die sie anderen Menschen nicht zumuten möchten, Sie sich Sorgen über Ihre eigenen Reaktionen machen oder sich stark belastet fühlen, nehmen Sie eine psychologische Einsatznachbetreuung in Anspruch. Selbst gravierende Belastungen können durch den Einsatz wissenschaftlich fundierter Strategien oftmals in nur wenigen Einheiten erheblich reduziert werden. In vielen Organisationen stehen Ihnen hierfür auch Peers oder psychosoziale Fachkräfte zur Verfügung.

Haben Sie zunehmend das Gefühl, dass Sie niemand verstehen kann, meiden wichtige Bezugspersonen den Kontakt zu Ihnen, bestehen Ihre Reaktionen auf einen belastenden Einsatz länger als 4 Wochen oder denken Sie daran, sich das Leben zu nehmen, suchen Sie ehestmöglich psychologische Unterstützung auf.

In akuten Krisensituationen ist im Raum Wien der Sozialpsychiatrische Notdienst rund um die Uhr erreichbar, bundesweit steht Ihnen beispielsweise die Telefonseelsorge zur Verfügung.

Literaturverweise

Kaluza, G. (2011). Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Berlin: Springer.

Lasogga, F. & Gasch, B. (2011). Notfallpsychologie. Lehrbuch für die Praxis. Heidelberg: Springer.

Maercker, A. (2009). Posttraumatische Belastungsstörungen. Heidelberg: Springer.