Tools & Tactics: Umgang mit wiederkehrenden belastenden Erinnerungen

Einsatzstress kann zu wiederkehrenden belastenden Erinnerungen führen. Diese umfassen häufig Bilder des Einsatzgeschehens, aber auch Geräusche, Gerüche oder andere Eindrücke. Solche sog. "Intrusionen" werden zumeist als sehr belastend erlebt. Ein möglichst gelassener Umgang mit den eigenen Reaktionen, Regeneration und psychologische Stabilisierungstechniken können die Bewältigung von Intrusionen erleichtern. In manchen Fällen braucht es weiterführende Maßnahmen.

Was sind Intrusionen?

Außergewöhnlich belastende Einsatzerlebnisse können selbst erfahrene Einsatzkräfte an ihre Grenzen bringen. Als besonders problematisch werden unter anderem Einsätze erlebt, im Rahmen derer Kinder betroffen sind, persönliche Bekannte oder Kolleg:innen in das Einsatzgeschehen involviert sind, Übergriffe gegen die Einsatzkräfte erlebt werden oder Ähnlichkeiten zur privaten Lebenssituation bestehen.

Solche und ähnliche Einsatzerlebnisse können zu akuten Belastungsreaktionen führen. Darunter werden Reaktionen verstanden, die unmittelbar oder kurz nach den Erlebnissen eintreten und intensive Emotionen, körperliche Reaktionen, gedankliche Beschäftigung mit den Einsatzerlebnissen, wiederkehrende, belastende Erinnerungen, Alpträume und viele andere Reaktionen umfassen können.

Besonders der Umgang mit wiederkehrenden Erinnerungen stellt viele Betroffene vor große Herausforderungen. Diese "Intrusionen" bestehen sehr häufig in wiederkehrenden, sich aufdrängenden Bildern, Geräuschen, Gerüchen und anderen Eindrücken von den Einsatzerlebnissen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Erinnerungen drängen sich Intrusionen von selbst auf und werden zumeist von starken Emotionen begleitet. Viele Betroffene fühlen sich dann wie in der Einsatzsituation.

Intrusionen können unmittelbar nach belastenden Einsätzen auftreten. Meiner Erfahrung nach setzen derartige Reaktionen aber häufig erst mit einiger Verzögerung ein. Solange man sich noch im Einsatz oder zumindest im Dienst befindet konzentriert man sich auf die zu bewältigenden Aufgaben. Kommt man abends zur Ruhe und lassen die äußeren Ablenkungen nach, kann sich das Erlebte allerdings wieder den Weg in das Bewusstsein bahnen.

Ein Zeichen für Schwäche? Eher das Gegenteil.

Aus psychologischer Sicht sind Intrusionen mit zwei wesentlichen Herausforderungen verbunden. Zum einen erleben viele Betroffene sie verständlicherweise als unangenehm bis äußerst belastend.

Zum anderen werden solche Reaktionen leider nach wie vor mitunter als Schwäche oder Anzeichen mangelnder Belastbarkeit interpretiert. Die wissenschaftliche Sichtweise zeichnet allerdings ein völlig anderes Bild. Aus notfallpsychologischer Perspektive handelt es sich bei Intrusionen und anderen Akutreaktionen um Verhaltensmuster, die im Laufe der Evolution einen Überlebensvorteil boten. Stark vereinfacht: erleben wir bedrohliche Situationen, schaltet unser Gehirn in eine Art "Überlebensmodus". Intrusionen stellen sicher, dass wir das bedrohliche Erlebnis nicht einfach "vergessen". Andere Reaktionen versetzen den Körper in einen anhaltenden Alarmzustand, um jederzeit auf neue Bedrohungen reagieren zu können. Ganz nach dem Motto: "Survival of the fittest". Es handelt sich also wohl kaum um irgendeine Art von Schwäche, sondern um Fähigkeiten, die unsere Überlebenschancen in Bedrohungssituationen erhöhen.

Auch in unserem heutigen Lebensumfeld sind durchaus Situationen vorstellbar, deren Bewältigung solche Reaktionen erfordert. Beispiele dafür sind Kriegseinsätze, länger dauernde Katastrophensituationen oder andere Szenarien, im Rahmen derer wir den Naturgewalten ausgeliefert sind. Im Vergleich zu solchen extremen Umfeldbedingungen ist unsere moderne Lebensumgebung allerdings glücklicherweise äußerst sicher. Nach akuten Belastungssituationen dauert es dennoch einige Zeit, bis auch unser Gehirn realisiert, dass keine Gefahr mehr besteht. Durch einen smarten Umgang mit den eigenen Reaktionen kann man diesen Prozess beschleunigen.

Allgemeine Tipps für den Umgang mit Intrusionen

Akzeptieren Sie den Überlebensmodus

Wenn Sie Belastungsreaktionen wie Intrusionen nach einem schwierigen Einsatz erleben, ist das ein Zeichen dafür, dass Ihr Gehirn in den Überlebensmodus gewechselt hat. Dazu kann auch gehören, dass Emotionen hochkommen oder sie immer wieder über bestimmte Aspekte des Einsatzes im Sinne eines "Grübelns" nachdenken müssen. Weder hat dies etwas mit Schwäche zu tun, noch werden Sie verrückt. Auch wenn es schwer fällt -akzeptieren Sie den Überlebensmodus und geben Sie Ihrem Gehirn Zeit, die Einsatzerlebnisse zu verarbeiten.

Versuchen Sie nicht, wiederkehrende Erinnerungen krampfhaft zu unterdrücken

Da Intrusionen oftmals als sehr belastend erlebt werden, entwickeln viele Betroffene den Wunsch, die auftauchenden Bilder, Gerüche, Geräusche etc. zu unterdrücken. Das ist absolut verständlich, funktioniert aber leider schlecht. Unser Gehirn ist nicht so strukturiert, dass wir Dinge bewusst "nicht denken" könnten. Tatsächlich kann ein bewusstes Unterdrücken der Erinnerungen an Einsatzerlebnisse sogar die Häufigkeit und Intensität von Intrusionen erhöhen. Betrachten Sie die auftauchenden Bilder und Eindrücke daher so gelassen wie möglich. Intrusionen kommen und gehen, sie klingen in der Regel von selbst ab, werden blasser, seltener und verschwinden in den meisten Fällen ganz von alleine. Ablenkung ist hingegen durchaus sinnvoll. Sie können es mit Fernsehen, Gesprächen, Sport, Podcasts, psychologischen Stabilisierungstechniken oder allem anderen versuchen, was Ihnen gut tut und seinen Zweck erfüllt.

Entwickeln Sie eine professionelle Haltung

Stellen Sie sich vor, Sie sind Profiboxer und steigen nach einem Kampf aus dem Ring. Würden Sie sich für Ihre Blessuren und Platzwunden schämen? Wohl kaum. Kleinere (und manchmal auch größere) Verletzungen sind im Leistungssport eben "part of the game" und nicht zuletzt auch ein sichtbares Zeichen Ihres Einsatzes und Ihrer Leidensfähigkeit. Wenn Sie in einer Einsatzorganisation tätig sind, ist Ihre Arbeit aus psychologischer Sicht durchaus mit Leistungssport vergleichbar. Wieso sollten Sie sich also für die ein oder andere mentale Blessur schämen, zumal solche Reaktionen genauso "natürlich" sind wie körperliche Überlastungserscheinungen? Eben. Entwickeln Sie daher einen smarten, professionellen Umgang mit Belastungsreaktionen. Nehmen Sie nach Möglichkeit Unterstützung durch Peers oder eine psychologische Einsatznachbetreuung in Anspruch. Dort können Sie individuelle Strategien erarbeiten, um Ihre Reaktionen sinnvoll zu managen. Unterhalten Sie sich auch mit anderen vertrauten Personen, um die Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu beschleunigen.

Nehmen Sie sich Zeit für Regeneration

Das Erleben eines besonders schwierigen Einsatzes ist ein guter Zeitpunkt, den Fokus bewusst auf Regeneration und Erholung zu legen. Wie gehen Sie üblicherweise mit Stress und Belastung um? Was hat Ihnen schon bisher in schwierigen Lebenssituationen geholfen? Gibt es etwas, dass Ihnen gut tut, Sie aber möglicherweise schon lange nicht mehr gemacht haben? Wenn Sie in einer Einsatzorganisation tätig sind, verbringen Sie vermutlich einen großen Teil Ihrer Arbeit damit, Menschen zu unterstützen, die Ihre Hilfe dringend benötigen. Das ist anspruchsvoll und setzt voraus, dass Sie selbst leistungsfähig und einigermaßen "fit" sind. Indem Sie sich um sich selbst kümmern, schaffen Sie die Basis dafür, anderen Menschen helfen zu können.

Machen Sie weiter

Unser Gehirn benötigt konkrete Erfahrungen, um zu lernen und sinnvoll auf die Umgebung zu reagieren. Um zu realisieren, dass die bedrohliche Situation überstanden ist, sollten Sie daher so viel wie möglich "Normalität" in Ihrem Alltag aufrechterhalten. Es ist absolut zielführend, wenn Sie sich bewusst auf Dinge konzentrieren, die Ihnen gut tun. Halten Sie aber auch so weit wie möglich Ihre übliche Tagesstruktur aufrecht, erfüllen Sie weiterhin Ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen und machen Sie ganz allgemein mit Ihrem Leben weiter.

Psychologische Stabilisierungstechniken

In der Notfallpsychologie haben sich zudem einige Tools bewährt, um den Umgang mit Intrusionen zu erleichtern. Diese Stabilisierungstechniken sind im Wesentlichen möglichst einfach gehaltene Ablenkungstechniken, die bei Auftreten von belastenden Erinnerungen kurzfristig Abhilfe verschaffen können. Eine besonders bewährte Technik ist die 5-4-3-2-1 Sehen Hören Empfinden Übung.

5-4-3-2-1 Sehen Hören Empfinden

Diese Technik stammt aus der Hypnotherapie und ist vor allem geeignet, Intrusionen, Grübeleien oder auch Angstzustände kurzfristig zu unterbrechen. Gehen Sie dabei wie folgt vor:

  • setzen oder legen Sie sich nach Möglichkeit bequem hin und halten Sie Ihre Augen geöffnet. Sie können die Technik aber grundsätzlich überall und in jeder Position durchführen.
  • benennen Sie nun 5 Dinge, die Sie sehen können. Beispiele: "Ich sehe meine Arme, ich sehe eine weiße Zimmertür, ich sehe…". Die beste Wirkung erzielen Sie, wenn Sie dabei laut sprechen. Ist dies nicht möglich oder zielführend, können Sie die Dinge aber auch nur gedanklich benennen.
  • benennen Sie in gleicher Weise 5 Geräusche, die Sie hören.
  • benennen Sie 5 körperliche Empfindungen, die Sie wahrnehmen. Achtung: Hier geht es nicht um Emotionen, sondern um körperliche Wahrnehmungen. Beispiele: "Ich spüre wie meine Fußsohlen den Boden berühren, ich spüre einen leichten Windzug auf meiner Haut, …"
  • beginnen Sie wieder von vorne und benennen Sie nun 4 Dinge, die Sie sehen, hören und körperlich empfinden.
  • setzen Sie fort mit 3, 2 und schließlich jeweils jeweils einer Sache.
  • Beenden Sie die Übung indem Sie sich strecken, den Kreislauf in Schwung bringen und wieder aufstehen.

Weitere Tipps zur Umsetzung:

  • die Übung ist auch zur Einschlafunterstützung geeignet.
  • Sie können bei den verschiedenen Durchgängen gerne jeweils unterschiedliche Dinge wahrnehmen und aufzählen, es ist aber auch kein Problem, wenn sich etwas wiederholt.
  • bei der Übung geht es nicht um eine Leistung, die erbracht werden muss, sondern darum, den Fokus auf Umgebungsreize zu richten.
  • Sie können die Übung auch beliebig oft wiederholen.

Wenn es mehr braucht

Je nach Einsatzerlebnissen kann es in manchen Fällen auch schwierig sein, alleine wieder aus dem "Überlebensmodus" herauszufinden.

Wenn Sie sich durch Einsatzerlebnisse schwer belastet fühlen, daran denken, sich das Leben zu nehmen oder Intrusionen bzw. andere Reaktionen auch noch 4 Wochen nach einem belastenden Einsatz bestehen, bedarf es weiterer Maßnahmen. Suchen Sie in solchen Fällen Unterstützung bei einem/einer entsprechend ausgebildeten Klinischen Psycholog:in oder Psychotherapeut:in.

In den vergangenen Jahren wurden spezielle Techniken entwickelt, die oftmals in nur wenigen Einheiten eine wesentliche Besserung von Belastungssymptomen bewirken können. Suchen Sie daher möglichst frühzeitig entsprechende Unterstützung.

In akuten Krisensituationen ist im Raum Wien der Sozialpsychiatrische Notdienst rund um die Uhr erreichbar, bundesweit steht Ihnen beispielsweise die Telefonseelsorge zur Verfügung.